Muskulatur

Die Muskulatur als Kraftwerk und Stoffwechselorgan

Myokine – eine Jahrhundertentdeckung

Bente K. Pedersen, die Direktorin des Muskelforschungszentrums an der Universität von Kopenhagen hat mit ihrem Forscherteam ein Rätsel gelöst: Jahrzehntelang konnten Wissenschaftler nicht erklären, warum richtig dosierte Bewegung die Gesundheit fördert. Die Frage, ob Bewegung, inklusive Krafttraining, gesund ist, wird heute nicht mehr gestellt. Vielmehr ist allen Beteiligten klar: Bewegung ist Leben und Leben ist Bewegung. Exercise-Factor nannten sie den unbekannten Stoff, aus dem Gesundheit unter dem Einfluss von Bewegung entstehen soll.

Die Forscher aus Kopenhagen haben den Schlüssel gefunden, der ins Schloss passt, vielmehr die vielen Schlüssel, welche die gesundheitsfördernden Effekte von Bewegung und Belastung vermitteln. Mehr als 400 dieser Eiweißverbindungen sind heute bekannt, die nur in aktiven Muskelzellen produziert und wie Hormone über den Blutkreislauf zu allen Organen, zu allen Zellen des Körpers transportiert werden und dort ihre Wirkungen entfalten. Und sie haben dieser Stoffgruppe auch gleich einen passenden Namen gegeben: Myokine, von Mys – Muskel und Kinesis – Bewegung.

Zahlreiche Myokine gehören zu den Zytokinen, das sind Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren und bei Entzündungsprozessen und immunologischen Reaktionen eine Rolle spielen. Muskulatur gewinnt mit diesen bei intensiver körperlicher Aktivität erzeugten Stoffen eine neue Bedeutung: als »endokrine Drüsen« kommunizieren Muskelzellen durch Ausschüttung von Myokinen in den Blutkreislauf mit Zellen von Leber, Fettgewebe, Knochen und Gehirn.

Bei Kontraktion erzeugen Muskelfasern Myokine. Sie wirken in den Zellen und in der Umgebung. Über die Blutgefäße gelangen die Myokine zu den Organen.

Die Pfeile in der Abbildung stehen für die verschiedenen Myokine. Sie werden in aktiven Muskelfasern gebildet, wirken bereits dort und in ihrer Umgebung. Spannend ist aber die Verteilung der Myokine über den Blutkreislauf hin zu allen Körperzellen, wo sie, den Hormonen ähnlich, ihre vielfältigen Wirkungen entfalten. Ich stelle Ihnen einige Myokine mit ihren aktuell bekannten Wirkungen vor:

  • Interleukin 6 ist das am besten untersuchte Myokin. Es steigt bei intensiver körperlicher Aktivität bis zum 100-Fachen des Ausgangswerts an und hat zahlreiche biologische Effekte. Neben der Wirkung auf den Zucker- und Fettstoffwechsel hat es eine stark entzündungshemmende Wirkung.
  • BDNF (Brain Derived Neurotropic Faktor) ist seit 1962 bekannt. Das im Gehirn gebildete BDNF fördert die Neubildung von Nervenzellen und ihrer Synapsen, schützt diese vor Degeneration und fördert die Kommunikation von Nervenzellen untereinander. Heute wissen wir, dass BDNF auch in Muskelzellen gebildet wird und deren Funktion und Regeneration unterstützt.
  • Interleukin 15 besitzt eine anabole Wirkung. Es wird bei intensivem Krafttraining gebildet und gelangt in die Blutbahn. Neben dem positiven Effekt auf Muskelhypertrophie spielt es vermutlich eine Rolle beim Abbau von Bauchfett.
  • Irisin wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und findet in der Forschung besonderes Interesse, vor allem weil es weiße Fettzellen in Fettzellen verwandelt, die den braunen Fettzellen ähnlich sind. Braunes Fett fördert den Abbau von Bauchfett und wirkt positiv auf den Zuckerstoffwechsel. Nach zehnwöchiger regelmäßiger körperlicher Aktivität verdoppelt sich der Irisin-Blutspiegel anhaltend.

Von den über 400 bisher bekannten Myokinen ist noch wenig bekannt. Intensive Forschungsaktivitäten werden in den kommenden Jahren weitere Erkenntnisse über die Bedeutung der Muskulatur für die Gesundheit ans Licht bringen.

Die folgende Grafik zeigt, dass unsere Muskelfasern Myokine bei intensiven Alltagsaktivitäten, bei Ausdauer- und Krafttraining produzieren.

Es handelt sich um eine Leseprobe aus dem Werk:

Muskelkraft – Eine starke Medizin

  • Dr. med. Martin Weiß
  • 2019
  • 256 Seiten
  • ISBN 978-3-95883-398-2
  • Lüchow Verlag


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